Kaum jemand hat die politische Gegenkultur zur herrschenden Meinungsmacht in Deutschland so geprägt wie Günter Wallraff. Und kaum eine Rolle, in die der einstige "Popstar der Linken" nicht geschlüpft wäre, um hinter die Fassaden von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft zu blicken. Sei es als Obdachloser, Priester, Ministerialrat, Bildzeitungsredakteur, Chauffeur, Leiharbeiter, Waffenhändler oder als katholischer Fabrikant, der Geistliche nach der Vereinbarkeit des christlichen Glaubens mit der Produktion von Napalm befragt: Es gibt kaum ein Thema, das Günter Wallraff in den vergangenen Jahrzehnten nicht mit seiner berühmten Recherchemethode aufgegriffen und ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt hätte.

Der Film von Udo Prenzel und Martin Hilbert dokumentiert den Einfluss dieser spektakulären Einsätze auf das Leben Günter Wallraffs. In einem der Gespräche erläutert der Journalist und Autor etwa, wie erst die Annahme fremder Identitäten in extremen Situationen aus einem scheuen Jugendlichen einen Kämpfer für Schwache und Benachteiligte machte. "Ich existierte eigentlich vorher gar nicht", sagt Wallraff, der 1973 sogar sein Leben aufs Spiel setzte, als er sich aus Protest gegen das griechische Militärregime in Athen vor dem Parlamentsgebäude ankettete und daraufhin zu 14 Monaten Haft verurteilt wurde. Wallraff, nach dem Sturz der Junta zwei Monate später wieder auf freiem Fuß, hatte Folter und bis zu zwei Jahre Gefängnis für diese Aktion einkalkuliert. Die knapp einstündige Dokumentation lässt alle wichtigen Stationen der Suche Günter Wallraffs nach Wahrhaftigkeit wieder lebendig werden, ob als Lokalredakteur der Hannoveraner Bildzeitung für seinen Bestseller "Der Aufmacher", als Büroboote in den Schaltzentralen des Gerling Konzerns oder bei seinen Erlebnissen als Ali Levent im Duisburger Thyssen-Werk, die er in seinem größten Bucherfolg "Ganz unten" verarbeitete. Ergänzt wird der Film von Interviews mit seiner Frau sowie den erwachsenen Töchtern, die von den Einschränkungen und Besonderheiten erzählen, die das ungewöhnliche Leben des Ehemannes und mehrfachen Vaters Wallraff mit sich brachte. Freunde wie Wolf Biermann, der nach seiner Ausbürgerung aus der DDR bei ihm wohnte, kommen genauso zu Wort wie seine Widersacher - etwa der Fernsehjournalist und Wallraffs Intimfeind Heinz Klaus Mertes oder einstige Mitarbeiter, die ihm Plagiatsvorwürfe machten. Der Film beleuchtet zudem dem das gesellschaftspolitische Engagement von Günter Wallraff - von seinen Lesungen in vorwiegend ostdeutschen Schulen bis zu Hilfsprojekten, die er zum Beispiel in Afghanistan initiiert. Und die Macher zeigen die privaten Leidenschaften des begeisterten Kajakfahrers, dessen Kölner Wohnung in jeder Ecke von seinem Enthusiasmus für sinnlich geformte Steine zeugt.

Film von Udo Prenzel und Martin Hilbert