Zwillingsgiganten sollen alle Gebäude der Welt überragen

Während des 20. Jahrhunderts standen die höchsten Wolkenkratzer in den USA. Als Zeichen wirtschaftlicher Kraft und technologischer Überlegenheit Dokumentierten sie den Führungsanspruch der größten Industrienation der Welt. Doch 1992 tritt Malaysia an, um den westlichen Giganten zumindest architektonisch zu schlagen.

Seit Beginn der neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts machen die so genannten Tigerstaaten Singapur, Hongkong, Taiwan und Südkorea durch ihr enormes Wirtschaftswachstum auf sich aufmerksam. Der damalige Premierminister Malaysias, Dr. Mahatir Mohamad, möchte auch sein aufstrebendes Land in die Riege der Erfolgreichen einreihen. Er erfindet ein weltweit beachtetes Imageprojekt.

Faszinierende Idee
Auf dem Gelände der Galopprennbahn von Kuala Lumpur, der Hauptstadt Malaysias, soll das Herzstück der neuen Industrienation entstehen. Der größte nationale Konzern, die Ölgesellschaft Petronas, soll hier residieren. Der Regierungschef stellt sich zwei extrem hohe Bürotürme vor.

Ihre Bauweise soll unverwechselbar geprägt von islamischen Stilelementen sein. Cesar Pelli, einer der weltweit erfahrensten Wolkenkratzer-Architekten, wird mit der Planung beauftragt. Pelli entwickelt ein revolutionäres Konzept: Zwei Türme, die auf halber Höhe durch eine Brücke miteinander verbunden sind - als symbolisches Tor zum neuen Malaysia. Seine Entwürfe finden allgemeine Zustimmung. Nur der Premierminister sieht den islamischen Stil zu wenig berücksichtigt.

Islamische Symbolik
Nach den Vorschlägen von Dr. Mahathir erarbeitet der Stararchitekt den Grundriss. Zwei sich überlagernde, um 45° versetzte Quadrate bilden einen achteckigen Stern. Nun fließt zwar die islamische Symbolik für Ordnung und Harmonie in die Pläne ein, doch die Nutzfläche ist zu gering. Acht Monate lang zerbricht sich Cesar Pelli den Kopf. Dann findet er eine Lösung, die alle befriedigt. Ohne die symbolhafte Grundstruktur zu verletzen, fügt der Architekt halbkreisförmige Ausbuchtungen an.

Dadurch kann er die nutzbare Fläche erheblich vergrößern. Nun schlägt die Stunde von Charlie Thornton. Der geniale Statiker muss die Entwürfe durchrechnen und dafür sorgen, dass Pellis einzigartige Ideen realisiert werden können - und er entdeckt ungeahnte Möglichkeiten.

Verlockendes Potential
Charlie Thornton stößt bei seinen Berechnungen auf statische Reserven. Es ist möglich, höher zu bauen als geplant. Nur 15 Meter mehr würden genügen, um den 443 Meter hohen Sears Tower in Chicago zu übertrumpfen. Architekt und Premierminister zeigen sich höchst erfreut. Dr. Mahathir entscheidet: Die Petronas Towers sollen 450 Meter hoch werden. Er will den Weltrekord nach Malaysia holen.

Normalerweise verlangt ein derartiges Projekt eine Bauzeit von acht Jahren. Doch das vorgesehene Budget reicht nur für sechs Jahre. Überschreiten die Baufirmen die gesetzte Frist, werden pro Tag 700.000 US-Dollar Strafe fällig. Für eine Woche Verzug müssen sie fünf Millionen zahlen. Der lukrative Auftrag ist mit einem enormen Risiko verbunden - eine extreme Herausforderung.